Häuserhüllen für kühlere Städte und Hochwasserschutz

Der Sommer wird zunehmend zur Belastung für Städte, weil sich die Hitze staut und bei Regen die Hochwassergefahr wächst. Christina Eisenbarth hat eine Stoffhülle für Gebäude entwickelt, mit der das Regenwasser gesammelt und genutzt werden kann – um Frischwasser im Gebäude einzusparen und bei Hitze durch Verdunstung zu kühlen.

Viel Beton und wenig Grün: Sobald die Temperaturen stei-gen, staut sich die Hitze in den Städten. Bei starkem Regen kommt es dagegen schnell zu Überschwemmungen, weil der versiegelte Boden das Wasser schlecht aufnimmt und die Kanalisation überläuft. Christina Eisenbarth hat eine Lösung entwickelt, die doppelt Abhilfe ermöglicht: Eine hydroaktive Hülle auf der Hausfassade nimmt einerseits das Regenwas-ser auf und macht es im Gebäude nutzbar, wodurch sich bis zu 46 Prozent Frischwasser einsparen lässt. An heißen Tagen kann die Textilhülle durch eingebaute Sprühdüsen befeuchtet werden, um das Gebäude und die städtische Umgebung durch Verdunstung zu kühlen.

Das Prinzip von „HydroSKIN“ ist einfach. Die Hülle, die an der Fassade angebracht wird, besteht aus einem mehrlagigen Textil- und Folienaufbau. Das äußere, wasserdurchlässige Textil schützt vor Insekten und Blättern. An einer Folie auf der Innenseite fließt das gesammelte Regenwasser in eine Rinne ab und kann in einem Reservoir gespeichert oder genutzt werden. Die Beschaffenheit der Fasern kann präzise angepasst werden: Je flauschiger die Fasern, desto mehr Wasser können diese aufnehmen und desto länger kühlt das Material. Dank des geringen Flächengewichtes können die Textilfassadenelemente sowohl an Neubauten als auch an bereits bestehenden Gebäuden angebracht werden. Das System lässt sich individuell konfigurieren und damit an den architektonischen und klimatischen Kontext und die Anforderungen der Nutzer anpassen.

Die Forschung im Detail

Die Polyestertextilien des Hüllsystems lassen sich aus PET-Flaschenabfällen fertigen und sind vollständig recycelbar.Durch die feinmaschige Struktur der textilen Außenlage lässt sich fast das gesamte Regenwasser aufnehmen, das der Wind an die Fassade weht.

Bei Hitze wird das aufbereitete Wasser über Sprühdüsen im oberen Rahmenprofil in die Textilien zurückgeführt. An Sommertagen mit Temperaturen von 28 bis 29 °C im Schatten und rund 25 Prozent Luftfeuchte erreichen die Oberflächentemperaturen der Textilfassade im Trockenzustand circa 35 °C, was bereits sehr niedrig ist, weshalb Textilien häufig zum Sonnenschutz eingesetzt werden. Durch die Bewässerung kann die Oberflächentemperatur auf bis zu 17 °C gesenkt und auf vergleichbar niedrigem Niveau gehalten werden. Ein Quadratmeter hydroaktive Hüllfläche, so Eisenbarth, neutralisiere die Aufheizung von rund 1,8 Quadratmeter Beton-, 1,4 Quadratmeter Asphalt- sowie 1,6 Quadratmeter dunkler Fassadenfläche.

Kühleffekt:

50 bis 100 m²

hydroaktive Hüllfläche entsprechen der Kühlleistung einer fünfzig Jahre alten Eiche.

Erprobung an einem Hochhausgebäude

Christina Eisenbarth hat in ihrer Dissertation die Zusammenhänge zwischen der Gestaltung von Textilien und ihrer Funktionalität zur Verdunstungskühlung sowie zur Regenwasseraufnahme in mehr als 600 Versuchen in unterschiedlichen Prüfeinrichtungen untersucht.

An Hochhäusern wäre der Nutzen hydroaktiver Fassaden besonders groß, zumal stärkere Windgeschwindigkeiten in der Höhe den Verdunstungskühleffekt vergrößern und mehr kühle Luft in den Stadtraum ziehen. Deshalb hat Christina Eisenbarth die Wirkung der hydroaktiven Hüllen an einem adaptiven Hochhaus auf dem Campus der Universität Stuttgart erprobt. Sie hat auch Freilandmessungen durchgeführt, um zu ermitteln, wie viel Regen bei welcher Windanströmung aufgenommen werden kann.

Stresstest:

24 Liter

pro Quadratmeter nahmen die hydroaktiven Hüllen während eines Starkregenereignisses im August 2024 in nur einer halben Stunde auf.

Von Beginn an international vernetzt

Christina Eisenbarths Forschung war eingebettet in den interdisziplinären Sonderforschungsbereich 1244, in dem Architekten gemeinsam mit Maschinenbau, Systemdynamik, Luft- und Raumfahrt sowie weiteren Fachbereichen an adaptiven Hüllen und Strukturen forschten. Auch die internationale Vernetzung war für ihren Werdegang wichtig, vor allem ihre zweijährige Gastforschertätigkeit als „Visiting Research Fellow“ an der School for Architecture, Design and Planning der University of Sydney. „Die Erfahrungen und Kontakte vor Ort waren sehr gewinnbringend“, erzählt Christina Eisenbarth, „es war für mich auch unglaublich motivierend, zu sehen, auf welch offene Ohren meine Forschung dort stößt.“ Sie habe sehr viel Unterstützung erfahren, auch, weil australische Städte ebenfalls mit der Hitze zu kämpfen haben und an Lösungen interessiert sind.

„Wir haben jetzt erstmals transparente Filamente verwendet, also Fäden, die durchlässig sind. Damit können wir auch bei der Anwendung vor Glasflächen eine nahezu vollständige Durchsicht nach draußen gewähren und mit einem Hauch von Nichts eine klimatische Wirkung erzielen.“

Christina Eisenbarth zu den Einsatzmöglichkeiten ihrer Gebäudehüllen

Christina Eisenbarth leitet nun das neu gegründete Institute for Technology and Re- silience in Architecture – kurz „ITRA“ am Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt.

3 Fragen an Christina Eisenbarth …

Wann wird man von Ihrer Forschung profitieren können?
Wir haben die Funktionsfähigkeit des Systems nun fast drei Jahre unter realen Witterungsbedingungen untersucht und vielversprechende Ergebnisse erzielt. Deshalb arbeiten wir nun mit Hochdruck daran, das System in die baupraktische Anwendung zu bringen. Was wir nun brauchen, sind mutige Vordenker und Vordenkerinnen, die mit uns gemeinsam den ersten Schritt wagen, HydroSKIN in der Baupraxis einzusetzen.

Welche Hürden muss man nehmen, bis innovative Forschung in die Praxis kommt?
Die erste Hürde ist die Sichtbarkeit: Innovative Forschung muss den Weg aus den geschlossenen Türen der Universitäten heraus in die baupraktische Anwendung finden. Eine weitere Herausforderung besteht darin, Referenzprojekte zu realisieren. Eine weitere Hürde stellen Richtlinien dar – beispielsweise existieren im Brandschutz bislang keine Regelungen für aktiv bewässerbare Fassaden.

Was erhoffen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft?
Der Klimawandel zwingt uns, das Bauen neu zu denken – hin zu einer resilienten und damit zukunftsfähigen Baukultur. Ich erhoffe mir, mit meiner Arbeit einen Impuls auf diesem Weg leisten zu können.

Forschungsthema früh gefunden

Christina Eisenbarth wurde 1993 geboren und hat in Saarlouis das deutsch-französische Abitur gemacht. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken sowie der École Nationale Supérieure d’Architecture de Nancy hat sie ihren Bachelor of Arts im Fach Architektur absolviert. Ihren Master of Science der Architektur und Stadtplanung hat sie an der Universität Stuttgart abgeschlossen. Bereits während ihres Studiums interessierte sie sich für klimaangepasste Architektur und spezialisierte sich auf die Themen des energie- und ressourceneffizienten Bauens. Als akademische Mitarbeiterin widmete sie sich in Forschung und Lehre der Entwicklung innovativer, adaptiver Fassadensysteme. Ihre Erfindung hydroaktiver Gebäudehüllen legte schließlich den Grundstein für ihre Promotion.

Um diese in die Praxis zu bringen, hat Christina Eisenbarth an der Universität Stuttgart das Transfer- und Gründerunternehmen „HydroSKIN“ gegründet. Inzwischen ist sie Professorin für Architektur und leitet in Darmstadt das „ITRA“ – Institute for Technology and Resilience in Architecture.

Das schlanke Aluminiumprofil bietet mit einer Ansichtsbreite von nur 35 Millimetern die Kapazitäten zur Aufnahme eines alle 100 Jahre in seiner Intensität auftretenden Schlagregenereignisses. Bewässerungs- und Beleuchtungstechnik sind in das Profil integriert.

Hoffnungsvolles Konzept

Den Bachelor hat Christina Eisenbarth an der Schule für Architektur Saar als Beste ihres Jahrgangs abgeschlossen. Auch „HydroSKIN“, Erfindung und Ergebnis der Promotion von Christina Eisenbarth, ist schon mehrfach ausgezeichnet worden – mit dem German Design Award Gold und den Iconic Awards des deutschen Rats für Formgebung, in Chicago mit dem Innovation Award des CBUH – Council on Tall Buildings and Urban Habitat sowie in Singapur vom World Architecture Festival mit dem WAFx Water Award. 2024 erhielt das Konzept auch von Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium den „Blauen Kompass“, eine mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung für herausragende Klimaanpassungsprojekte.

Kernstück der textilen Gebäudefassade ist ein sogenanntes „Abstandsgewirk“ – ein dreidimensionales Textil aus zwei wabenförmigen Lagen, die über viele abstandshaltende Fäden miteinander verbunden sind.
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