Auch Menschen mit leichten wie schweren Behinderungen wollen musizieren. Andreas Förster hat für sie und mit ihnen digitale Instrumente entwickelt, die ganz neue Möglichkeiten für Teilhabe und inklusive musikalische Bildung eröffnen.
Es ist gesetzlich verankert: Auch Menschen mit Behinderungen haben das Recht, an Kultur teilzuhaben. Die Praxis sieht anders aus, wie die empirischen Untersuchungen von Andreas Förster deutlich machen: Er hat sich mit dem Thema Musik in deutschen Förderschulen beschäftigt und schnell festgestellt, dass digitale Instrumente hier sehr selten sind. „Anders als im Ausland kommen fast nur akustische Instrumente zum Einsatz“, sagt Andreas Förster. Schülerinnen und Schüler, die nicht die entsprechenden Fertigkeiten mitbringen, können somit nicht selbst musizieren. „Sie konnten bisher nur als Zuhörer am Musikunterricht teilnehmen.“
Im Rahmen seiner Dissertation hat Andreas Förster deshalb gemeinsam mit Schülerinnen, Schülern und dem Team einer Förderschule digitale Instrumente entwickelt, die auf die körperlichen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder abgestimmt wurden. Es entstanden zwanzig Prototypen – Gitarreninstrumente und loopbasierte Instrumente für elektronische Musik, wie beispielsweise Techno. Für Kinder mit Mehrfachbehinderung wurden außerdem einzelne Instrumente entwickelt, bei denen deren jeweilige Bewegungsmuster und Interaktionsformen einbezogen wurden.
Bei dem Forschungsprojekt waren viele Disziplinen gefragt: Musikpädagogik, Sonderpädagogik, Human-Computer-Interaction und Disability Studies, außerdem wurde Andreas Förster vom Bundesverband Musikunterricht unterstützt. Wichtig war ihm auch, keine kommerzielle Hard- und Software zu nutzen, sondern ausschließlich auf Open Source zu setzen.
Mixed-Methods-Erhebung:
41,5% Rücklauf
Ein quantitativer Fragebogen, der an den Förderschulen in 12 Bundesländern eingesetzt wurde, ergab, dass digitale Musikinstrumente kaum genutzt werden.
Auf seine Initiative hin wurden an der Universität Köln bereits digitale Instrumente angeschafft, die es schon auf dem Markt gibt, „damit die Studierenden sie nutzen und in ihrem Praxissemester Erfahrungen sammeln können“, sagt er. Die Ergebnisse sollen einfließen in didaktische Konzepte und weitere Forschungsprojekte. Ziel ist es, ein modulares System zu entwickeln, bei dem digitale Musikinstrumente an die individuellen Fähigkeiten der unterschiedlichen Personen angepasst werden können – ohne besondere technische und musikpädagogische Kenntnisse. Damit wäre erreicht, was Andreas Försters Antrieb ist: „Langfristig möchte ich möglichst vielen Menschen eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am aktiven Musizieren ermöglichen.“
Andreas Förster:
Zugängliche digitale Musikinstrumente im sonderpädagogischen Kontext


Mit der Taschenlampe entspannen
Das erste Instrument, das Andreas Förster gebaut hat, kann weit mehr als nur Klänge erzeugen: „SnoeSky“ ist eine Art Sternenhimmel, bei dem Sternbilder aus LED-Lichtern mit Sensoren bestückt wurden. Richtet man das Licht einer Taschenlampe auf sie, leuchten sie auf und lösen zugleich Klänge aus. Der „SnoeSky“ ist in der Bregtalschule in Furtwangen fest in einem Entspannungsraum installiert, in dem die Schülerinnen und Schüler auf einem Wasserbett liegen, das mit einem Subwoofer ausgestattet ist, der gleichzeitig angesteuert wird und Vibrationen auslöst und so multisensorische Klangerfahrungen ermöglicht.
Rassel löst Klänge aus

Für Schülerinnen und Schüler, die auf Interaktionen nur begrenzt reagieren, hat Andreas Förster auch maßgeschneiderte Instrumente entwickelt – und nutzte zum Beispiel eine Rassel, mit der ein Junge häufig spielte. Förster integrierte in ein identisches Modell einen Sensor, der die Bewegung der Rassel per WLAN an den Computer sendet und Klänge auslöst. „So lassen sich bei der gewohnten Interaktion auch musikalische Klänge erzeugen, und es wurde erreicht, dass der Junge mit dem Klang experimentierte.“
Leicht zu bedienende Gitarre
Viele Schülerinnen und Schüler, die Andreas Förster im Zuge seines Entwicklungsprojekts befragte, wünschten sich vor allem Gitarreninstrumente. Für den Prototyp seiner Gitarre nutzte er das Gehäuse eines Playstation-Controllers in Form einer Gitarre. Die bereits vorhandenen Buttons auf dem Hals ersetzte er durch eigene Elektronik und installierte sogenannte „Touch Slider“, die das Zupfen der Saiten simulieren. Außerdem lassen sich die Klänge über einen weiteren Hebel umstellen. Die „Gitarre“, sagt Förster, „ist leicht zu bedienen, wird sehr gut angenommen und ermöglicht musikalische Selbstwirksamkeitserfahrungen.“

Musik zu machen schafft Lebensqualität
Forschung ist für Andreas Förster kein Selbstzweck. Ihn treibt die Motivation an, Menschen mit Behinderungen intensivere Begegnungen mit der Musik zu ermöglichen.
Herr Förster, ist Forschung für Menschen mit Behinderungen Forschung wie jede andere?
Grundsätzlich ist es Forschung wie jede andere auch, aber es stellen sich andere Herausforderungen. Wenn Menschen nonverbal kommunizieren und nicht verbal ihre Zustimmung geben können, wirft das ethische Fragen auf, inwiefern eine Freiwilligkeit besteht. Man muss verstärkt darauf achten, ob die Person in irgendeiner Form zu zeigen versucht, dass sie etwas gerade nicht möchte.
Es gibt Forschungsbereiche wie IT oder Energie, die als besonders relevant gelten. Haben Sie den Eindruck, dass man auf anderen Gebieten weniger Unterstützung erfährt?
Im Bereich Sonderpädagogik und Forschung für Menschen mit Behinderungen gibt es eine überschaubare Anzahl an Stiftungen. Wir sind noch im Prozess, deshalb kann ich noch nicht sagen, wie leicht oder schwer es ist, hier Projektförderung zu bekommen. Aber der Preis der Gips-Schüle-Stiftung ist ja bereits eine Förderung, darüber freue ich mich sehr.
Woher kommt Ihr Interesse an der Sonderpädagogik?
Ich habe meinen Zivildienst an einer Förderschule für geistige Entwicklung gemacht, das war eine sehr spannende Zeit und daher kommt mein Interesse für die Thematik. Im Musikunterricht kommen in der Praxis meistens sehr einfache akustische Musikinstrumente zum Einsatz, die für einige Schülerinnen und Schüler aber nicht zugänglich sind. Andere Konzepte gab es nicht.
Welche Bedeutung hat es, selbst musizieren zu können?
Für mich hat das eine ganz persönliche Bedeutung, weil ich immer musikalisch aktiv war, Instrumente gespielt und in Bands gespielt habe. Es ist eine große Lebensqualität für mich, Musik zu machen. Das aktive Musizieren gehört aus meiner Sicht zur Bildung und zur musikalischen Bildung dazu. Es gibt auch therapeutische Argumente, wobei mir in erster Linie das Recht auf Teilhabe und musikalische Bildung wichtig ist.
Treibt Sie eher Forschergeist oder der Wunsch, gesellschaftlich etwas zu bewirken?
Forschung als Selbstzweck war für mich nie ein Thema. Ich wollte genau dieses Projekt umsetzen und das Thema weiter erforschen, deshalb hat sich die Promotion angeboten. Mir geht es eher darum, die Forschung zu nutzen für etwas, das aus meiner Sicht sinnvoll ist.
Welchen Berufsweg wollen Sie jetzt gehen?
Wir planen gemeinsam mit der Hochschule Furtwangen zunächst eine Pilotstudie. Danach wollen wir versuchen, eine dreijährige Großförderung zu bekommen, und dann würde ich das Projekt als Postdoc begleiten. Langfristig kann ich es noch nicht sagen, aber wir sind gerade auch dabei, zwei der Instrumente so weiterzuentwickeln, dass wir sie Schulen anbieten können. Dabei werden wir durch ein EXIST-Gründerstipendium gefördert. Das akademische Arbeitsumfeld ist sehr schwierig mit zeitlich befristeten Stellen, außerdem weiß man nicht, ob man der Forschung nachgehen kann, die einen interessiert. Deshalb ist noch nicht sicher, wo mein Weg hinführen wird.

Sonderpädagogik mit Musiktechnologie verbunden
Der Zivildienst war für Andreas Förster prägend.
Andreas Förster wurde 1989 im Rheinland geboren und gehörte zu der Generation, für die noch Wehrpflicht bestand. Der Zivildienst, den er an einer Förderschule für geistige Entwicklung absolvierte, sollte seinen weiteren Lebensweg bestimmen. Denn die Erfahrung, dass manche Schülerinnen und Schüler nicht am Musikunterricht teilhaben konnten, prägte ihn nachhaltig.
Nachdem Andreas Förster noch ein Jahr ehrenamtlich im Behindertenfahrdienst tätig war, begann er am Konservatorium Maastricht ein Musikstudium für das Lehramt, wechselte dann aber an die Universität Köln und machte seinen Bachelor in Sonderpädagogik. Er schloss noch das Bachelorstudium Musikdesign an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen an, „weil ich die Sonderpädagogik mit Musiktechnologie verbinden wollte“, wie er sagt.
Andreas Försters interdisziplinär angelegte Promotion verbindet Sonderpädagogik, Musikpädagogik und Musiktechnologie. Hierbei hat er eng mit Prof. Dr. Norbert Schnell zusammengearbeitet, der an der Hochschule Furtwangen Studiendekan im Bereich Musikdesign ist. Da die Hochschule kein Promotionsrecht besitzt, hat Andreas Förster dann 2025 an der TU Berlin bei Prof. Dr. Stefan Weinzierl promoviert.