Was die Quote bringt

Das Schlagwort der Zeit heißt Diversität. Nadja Dwenger und Sibylle Lehmann-Hasemeyer wollen genauer wissen, wie sich homogene und heterogene Gruppen unterscheiden. Dabei erforschen sie zum Beispiel, welchen Einfluss westdeutsche Aufbauhilfe auf die Zusammensetzung ostdeutscher Finanzämter hatte.

Als sich 1989 die deutsch-deutsche Grenze öffnete, zog es manche engagierte Westdeutsche in den neuen Teil der Republik, um fortan im Osten zu arbeiten. Auch in den Finanzämtern, die in den neuen Bundesländern aufgebaut werden mussten, waren Beamtinnen und Beamte aus dem Westen tätig. Das stieß vor Ort nicht nur auf Begeisterung. Aber welche Einflüsse hatte es konkret, dass viele Führungspositionen mit Staatsbediensteten aus den alten Bundesländern besetzt wurden?

Das ist eine der Fragen, für die sich Nadja Dwenger und Sibylle Lehmann-Hasemeyer interessieren. Die Hohenheimer Professorinnen für Volkswirtschaftslehre haben ein gemeinsames Thema: Diversität. Sie wollen erforschen, wie sich die Durchmischung von Gruppen auswirkt – ökonomisch wie auch gesellschaftlich. Die Kriterien von Diversität sind dabei vielfältig; sie beziehen sich nicht nur auf den Anteil an Frauen und Männern, sondern auch auf die Altersstruktur oder die soziale Herkunft der Menschen – und eben auch auf Ost- und Westdeutschland.

Nadja Dwenger will wissen, welche Einflüsse es hatte, dass in den neuen Finanzämtern in Ostdeutschland viele Staatsbedienstete aus dem Westen eingesetzt wurden. Die Daten zu den Ämtern sind gut dokumentiert.

Die Professorinnen sind mit dem Special Award Wirtschaftswissenschaften der Gips-Schüle-Stiftung
ausgezeichnet worden. Die Mittel ermöglichen es ihnen, für ihre Forschungsidee einen konkreten Projektantrag auszuarbeiten, um eine langfristige Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
zu erhalten. Damit könnte eingehender untersucht werden, wie Diversität Gruppen verändert – und ob es Auswirkungen gibt, die nicht beabsichtigt waren. Einen Ansatz haben die beiden bereits: „Meine These ist“, sagt Sibylle Lehmann-Hasemeyer, „dass die intendierte Verbesserung der Diversität dazu führen könnte, dass eine Gruppe noch homogener wird – nur eben nach anderen Kriterien.“ Wenn der Staat etwa eine Frauenquote vorschreibe, sei das Geschlechterverhältnis fortan zwar ausgewogener, gleichzeitig könne dadurch die Diversität eines anderen Kriteriums abnehmen und könnten zum Beispiel Männer anderer sozialer Herkunft benachteiligt werden.

Um besser nachvollziehen zu können, welche Folgen eine staatliche Reglementierung hat, sollen unterschiedliche Organisationen und Kontexte betrachtet werden – Verwaltung, aber auch Aufsichtsräte und Leitungspositionen. Dabei geht es Nadja Dwenger und Sibylle Lehmann-Hasemeyer nicht darum, sich für oder gegen eine Frauenquote auszusprechen. „Die Einführung einer Quote ist ein mögliches Element, um größere Diversität zu erreichen“, sagt Nadja Dwenger, „man muss sie in ihren Auswirkungen ganzheitlich betrachten und vielleicht nachbessern, um tatsächliche Diversität zu erreichen.“

„Die tollen Kolleginnen und Kollegen sind ein ganz wesentlicher Faktor – hier in Hohenheim ist eine junge, dynamische Gruppe tätig und wir können etwas bewegen.“

Nadja Dwenger

Den Staat im Blick: Nadja Dwenger

Für Nadja Dwenger wird es immer dann interessant, wenn der Staat in Prozesse eingreift. Die Volkswirtschaftlerin hat in Tübingen und Straßburg studiert. Nach der Promotion in Berlin war sie in München am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen tätig. Forschungsaufenthalte führten sie nach Norwegen und in die USA. 2015 nahm Nadja Dwenger den Ruf nach Hohenheim an. „Die tollen Kolleginnen und Kollegen sind ein ganz wesentlicher Faktor“, sagt sie, „hier ist eine junge, dynamische Gruppe tätig und wir können etwas bewegen.“

In den vergangenen Jahren hat Nadja Dwenger unter anderem untersucht, wie es sich mit der Steuerehrlichkeit in den europäischen Ländern verhält oder wie sich die Finanzkrise auf die Wirtschaft auswirkt. Auch hier stand die staatliche Regulierung im Fokus und die Frage, wie sich der Einfluss der Politik auf das Verhalten von Individuen, Unternehmen oder Banken auswirkt – und welche Effekte es gab, die nicht intendiert waren.

Sibylle Lehmann-Hasemeyer hat sich auf Wirtschaftsgeschichte spezialisiert – und nutzt auch historische Dokumente.

Wirtschaftsgeschichte in Zahlen: Sibylle Lehmann-Hasemeyer

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Sibylle Lehmann-Hasemeyer hat in Marburg, Berlin und Lausanne studiert und am Trinity College Dublin promoviert, bevor sie ans Max-Planck-Institut für Kollektivgüterforschung in Bonn ging. Seit 2012 ist sie in Hohenheim Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Ihr Spezialgebiet ist die Wirtschaftsgeschichte, so hat Sibylle Lehmann-Hasemeyer zum Beispiel die Auswirkungen der Globalisierung empirisch untersucht. Derzeit beschäftigt sie sich mit der wirtschaftlichen Bedeutung von Sparkassen für Unternehmen sowie mit dem individuellen Sparverhalten.

Die Auswirkungen von Diversität in Gruppen will Sibylle Lehmann-Hasemeyer am Beispiel von Aufsichtsräten aufarbeiten. „Die Datenlage ist hier sehr gut“, sagt sie, „denn es gibt Daten für Aktiengesellschaften seit 1896.“ Gute Voraussetzungen also, um empirisch zu untersuchen, wie sich die Gremien verändert haben – zum Beispiel nach der Einführung des Frauenwahlrechts im Jahr 1918.

Big data Lässt Grüßen

5.000 Unternehmen

will Sibylle Lehmann-Hasemeyer in ihre Untersuchungen einfließen lassen. Sie interessiert, wie sich deren Aufsichtsräte im Lauf der Jahrzehnte zusammengesetzt und gewandelt haben.

Daten, Daten, Daten

Mehr als dreißig Jahre sind seit der Wiedervereinigung vergangen. In diesen Jahrzehnten waren viele Menschen in den Finanzämtern in Ostdeutschland beschäftigt. Für die empirisch arbeitende Wissenschaft bedeutet das jede Menge Daten über jene, die kamen und gingen. Um zu untersuchen, wie sich Diversität auswirkt, bieten sich die ostdeutschen Finanzämter an. „Anders als in vielen Unternehmen weiß man in der Verwaltung sehr genau, welche Person wann wo gearbeitet hat“, sagt Nadja Dwenger, „es gibt detaillierte Organigramme und Geschäftsverteilungspläne, das sind echte Schätze.“

Der Forschungsbereich von Sibylle Lehmann-Hase-meyer geht bis ins ausgehende 19. Jahrhundert zurück, um die Zusammensetzung von Aufsichtsräten zu analysieren. Auch wenn die männlichen Aufsichtsräte in der Vergangenheit meist viele Jahre auf ihren Posten saßen, sind die Datenmengen enorm. „Big Data ist auch in der Wirtschaftsgeschichte ein Thema“, so Lehmann-Hasemeyer.

Die Mittel der Gips-Schüle-Stiftung machen es möglich, große Informationsmengen zu digitalisieren – freilich nicht von Hand, da das Abtippen zu fehleranfällig wäre. Die Wissenschaftlerinnen arbeiten mit entsprechender Software, um das Material zu digitalisieren. Die Daten lassen sich anschließend gezielt auswerten und könnten bald Antworten geben, in welchen Kontexten Diversität nutzt – und wo sich unerwartete Nebenwirkungen einstellen. Sibylle Lehmann-Hasemeyer vermutet, dass eine homogene Gruppe, in der alle ähnlich denken, Vorteile haben kann, wenn eine schnelle Entscheidung nötig ist. Sind allerdings unkonventionelle Lösungen für neue Herausforderungen gefragt, ist vermutlich ein durchmischtes Team kreativer und besser aufgestellt.

Um besser verstehen zu können, wie sich eine homogene oder eine diverse Zusammensetzung auf Gruppen auswirkt, nutzt Sibylle Lehmann-Hasemeyer Daten aus Archiven, die am Computer zusammengeführt werden.
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